„Man darf von diesem Buch keine simple Anleitung zur Kunst des Liebens erwarten; tut man es doch, wird man enttäuscht sein.“
„Wenn man von der Liebe spricht, ist das keine „Predigt“, denn es geht dabei um das tiefste, realste Bedürfnis eines jeden menschlichen Wesens.“
Das ist der erste und fast (dritt-)letzte Satz in Erich Fromms „Die Kunst des Liebens“. Erstmalig erschienen 1956 (USA) hat es an Aktualität in Nichts eingebüßt. Ich erinnere mich dieses Buch vor ungefähr 20 Jahren mit ungefähr 20 Jahren gelesen zu haben und es gibt nur zwei Möglichkeiten; entweder war es damals ein anderes Buch oder ich ein anderer Mensch. Ich lass das mal so stehen….
Als dreifache, stets bemühte und stets an sich selbst scheiternde Mutter, war dieses Buch, nach einer Vielzahl von Büchern, Artikeln, Vorträgen, Coachings und Podcasts zum Thema schlichtweg ein „Eye-Opener“.
Fromm versteht es so wohlig-warm auf der einen und so analytisch-hart auf der anderen Seite die Liebe an ihren Wurzeln zu packen, zu sezieren ohne sie anzugreifen und vor allem zu differenzieren von den zahlreichen Pseudolieben mit denen wir uns 1956…äh…heutzutage so fein einen in die Tasche lügen.
Besonders interessant und erhellend waren aus der Mutterperspektive die Kapitel „Liebe zwischen Eltern und Kind“, „Mütterliche Liebe“ und „Selbstliebe“.
Dabei sei nur mal vorweg gesagt, dass Fromm einen krassen Schnitt in puncto Mutterliebe ansetzt, die beginnt bei ihm nämlich nicht bei der liebevollen Versorgung eines zu 100% hilflosen Säuglings, sondern beim selbstlosen und schmerzhaften Loslassen des eigenen Kindes und dessen Beförderung zu immer mehr Selbstständigkeit und damit Unabhängigkeit.
Wahre Mutterliebe besteht darin, für das Wachstum des Kindes zu sorgen, und das bedeutet, daß sie selbst wünscht, daß das Kind von ihr loskommt.[…]Die Mutterliebe zum heranwachsenden Kind, jene Liebe, die nichts für sich will, ist vielleicht die schwierigste Form der Liebe; und sie ist sehr trügerisch, weil es für eine Mutter so leicht ist, ihr kleines Kind zu lieben. Aber gerade, weil es später so schwer ist, kann eine Frau nur dann eine wahrhaft liebende Mutter sein, wenn sie überhaupt zu lieben versteht […]. Eine Frau, die nicht fähig ist, in diesem Sinn zu lieben, kann zwar, solange ihr Kind noch klein ist, eine fürsorgende Mutter sein, aber sie ist keine wahrhaft liebende Mutter. (S.86 f)
Das darf man sich ruhig mal auf der Zunge und auf ein, zwei Gehirnzellen zergehen lassen. Und dann darf man seinen eigenen Erziehungsstil, seine Handlungen, Denkweisen und Pläne für die Zukunft nochmal kurz daraufhin überprüfen. Lohnt sich.
Selten habe ich so klar formuliert gelesen, welche Bedeutung und Kraft Selbstliebe hat wie im gleichnamigen Kapitel Fromms. Auch für Fromm ist sie die Voraussetzung zur Liebe generell („Liebe ist grundsätzlich unteilbar; man kann die Liebe zu anderen Liebes-„Objekten“ nicht von der Liebe zu, eigenen Selbst trennen“ (S.98)/ „Wenn ein Mensch fähig ist, produktiv zu lieben, dann liebt er auch sich selbst; wenn er nur andere lieben kann, dann kann er überhaupt nicht lieben.“ S.99) In aller Härte und Klarheit wendet er dieses Prinzip erneut auf die Mutter-Kind-Beziehung an. Mütter, die glauben aufopfern und alles geben, bis zum, im wahrsten Sinne des Wortes, „Geht nicht mehr!“, anschnallen, es wird ruppig:
[…] speziell in der Wirkung, die eine solche „selbstlose“ Mutter auf ihre Kinder hat. Sie meint, durch ihre Selbstlosigkeit würden ihre Kinder erfahren, was es heißt, geliebt zu werden, und sie würden ihrerseits daraus lernen, was lieben bedeutet. Die Wirkung ihrer Selbstlosigkeit entspricht jedoch keineswegs ihren Erwartungen. Die Kinder machen nicht den Eindruck von glücklichen Menschen, die davon überzeugt sind, geliebt zu werden. Sie sind ängstlich, nervös und haben ständig Angst, die Mutter könnte mit ihnen nicht zufrieden sein, und sie könnten ihre Erwartungen enttäuschen. Meist werden sie von der versteckten Lebensfeindschaft ihrer Mutter angesteckt, die sie mehr spüren als klar erkennen, und schließlich werden auch sie ganz davon durchdrungen. Alles in allem wirkt eine derart selbstlose Mutter auf ihre Kinder kaum anders als eine selbstsüchtige, ja die Wirkung ist häufig nocht schlimmer, weil ihre Selbstlosigkeit die Kinder daran hindert, an ihr Kritik zu üben. Sie fühlen sich verpflichtet, sie nicht zu enttäuschen; so wird ihnen unter der Maske der Tugend eine Abscheu vor dem Leben beigebracht. Hat man dagegen Gelegenheit die Wirkung zu studieren, die eine Mutter mit einer echten Selbstliebe auf ihr Kind ausübt, dann wird man erkennen, daß es nichts gibt, was dem Kind besser die Erfahrung vermitteln könnte, was Liebe, Freude und Glück bedeuten, als von einer Mutter geliebt zu werden, die sich selbst liebt.“ (S. 102 f)
Ich verstehe nicht, warum das nicht dick gedruckt in jedem Kreißsaal, noch besser in jedem Kindergarten, in jeder Schule, in jeder Küche, in jedem Spielzimmer,… einfach überall auf dieser Welt dick an den Wänden steht. Es ist einfach so verdammt wahr.
Dieses Buch jedenfalls ist das perfekte Mitbringsel für alle werdenden Eltern, die ganze „Oje, ich wachse“/“Babyjahre“-Schwachsinnsliteratur braucht kein Schwein und schon gar kein Kind.
Die in diesem wundervollen Buch permanent mitschwingende Gesellschaftskritik, die anprangert, dass die Liebe materialisiert wird und als Tauschobjekt mit all dem anderen Schrunz auf dem Markt landet, ist phänomenal präzise und unter dem Aspekt, dass sie 1956 formuliert wurde, fast schon unheimlich.